Donnerstag, 11. Juni 2015

Penner unter sich


Dornröschen, Rip Van Winkle...meine beiden Lieblingsmärchen. In beiden Geschichten schläft jenmand für sehr lange Zeit ein und erwacht erst wieder, als sich Umfeld und Umstände komplett geändert haben.  

Hier im Süden schlummern viele Dinge im Dornröschenschlaf ; Alte Steinhütten, vergessene Nischen, knorrige Olivenbäume mit Gesichtern...unbeachtet am Wegesrand dösen sie unter sengender Sonne. 

Hört man genau hin, so meint man fast ein Flüstern zu hören: "Meine Geschichte ist noch nicht zu Ende. Sie wurde nur angehalten, vor sehr langer Zeit. Vielleicht dauert es noch hundert Jahre, aber ich werde wieder aufwachen. Durch was oder wen auch immer"

Wer so ein schlafendes Wesen aufwecken will, muss zunächst verstehen lernen, warum es überhaupt erst eingeschlafen ist. 

Für Rip Van Winkle war es eine Gnade. Ein Geschenk, das ihm der knorrige Geist Hendrick Hudson gemacht hat. "Trink das Bier, schlaf eine Runde und wenn Du aufwachst, sind 25 Jahre rum, Deine Frau, die dich fertig macht, wird dann tot sein". So hatte sich der Hendrick das wohl gedacht. In einer Zeit, in der Scheidung kein Thema war, wohl der einzige Weg, der "häuslichen Gewalt" zu entfliehen. 
Nicht nur das: Rip Van Winkle verschlief auch das Blutvergiessen des Unabhängigkeitskrieges. 

Der Preis war allerdings nicht ohne: Denn der junge Rip erwachte als alter Mann. Er verschlief also fast sein ganzes Leben. Nur seine mittlerweile erwachsenen Kinder erkannten ihn und bescherten ihm immerhin noch ein schönes, friedliches Alter.

Bei Dornröschen war die Ausgangslage eine ganz andere. Ihre Familie liebte sie, ihr Umfeld war gut - bis auf den einen, dunklen Punkt:  Die dreizehnte Fee mit ihrem tödlichen Fluch. 

Da half keine Vorsichtsmassnahme und kein Verbrennen aller Spinnräder im Königreich. Ihr Schicksal steuerte unweigerlich auf jenen tragischen Tag zu, mitleidlos und ohne die geringste Chance, das Unheil doch noch abzuwenden. 

Der hundertjährige Schlaf wird zur einzigen Hoffnung in der fatalen Ausweglosigkeit. Wie sagte die gute Fee:  "Ich kann den Fluch nur abmildern, nicht aufheben". 
Dornröschens Eltern werden nicht mehr erleben, wie ihre Tochter aufwacht. Es bleibt nur der Trost, dass der Schrei nach dem Stich an der Spindel nicht das Ende, nicht das letzte Wort war. 

Dass das, was jetzt angehalten wird, irgendwann weiter geht. 

in der komplexen Gleichzeitigkeit des Erlebens aller Dinge in dieser Pilgerfahrt, sind Aldo und ich sowohl Schlafende, Weckende als auch Aufwachende. 
Aldo Moro ist Dornröschen und ich bin Rip Van Winkle. 

wie das literarische Vorbild, habe ich viele Jahre lieber geschlafen, statt mich der Front zu stellen und Probleme wirklich anzupacken. Nun wache ich auf, bin aber schon alt.

Ich stelle mich den Dornen im Wald des Vergessens, der Aldos Schlaf bewacht. Ich reisse mir an dem Gestrüpp Hände, Beine und das Herz blutig und rufe ihm zu: " Ich bins, der alte Rip! ich bin aufgewacht und komme nun, um Deine Uhr irgendwie wieder anzuwerfen!" 

Alle Rosen des Dornenwaldes schenkt er mir dafür. 

1 Kommentar:

  1. Jetzt war ich mir doch unsicher, ob mich meine Erinnerung trog, darum habe ich es noch einmal nachgelesen: die Eltern des Dornröschen erleben sehr wohl, wie ihre Tochter wieder aufwacht, denn sie haben ebenfalls hundert Jahre geschlafen, genau wie der gesamte Hofstaat. Darum hat mir wohl dieses Märchen schon als Kind so gut gefallen: alle, die zusammengehören, bleiben auch zusammen; sie haben einfach nur eine kleine (bzw. ziemlich große) Pause eingelegt. Was sie wohl geträumt haben in den hundert Jahren?
    https://de.wikisource.org/wiki/Dornr%C3%B6schen_%281857%29

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