Dienstag, 23. Juni 2015

Piazza Aldo Moro

Heute hatte ich zum esten Mal Angst, keine Unterkunft zu finden. Wir waren 30 Kilomter lang der Küste gefolgt, von Pietra Ligurie bis Noli.
Die Beine taten weh und ich hätte im Grunde schon viel früher wieder die Berge ansteuern sollen, um dort eine Unerkunft zu finden.
In Noli fragte ich mich etwas in den Geschäften durch und man sagte mir, ich müsse schon sehr weit in die Berge gehen um wieder auf Bahausungen zu stossen, die in Frage kämen.

Also zog ich los. Nach einigen Quergassen holte uns ein Mann ein, der ganz ausser Atem war. Er sprach mich an und sagte er habe gleich am Stadtrand ein Grundstück mit Eseln, da könne ich übernachten. Ja, er habe von den Leuten in der Einkaufspassage gehört, dass ich was suche. Es sei auch ganz nah.
Mit einem Schlag waren alle Sorgen weg. Erleichtert schaute ich mich um, hatte ich doch nun wieder den Blick und den Kopf frei.

Da sah ich wo ich war:



Zufall? Glaub ich nicht daran. Nun sag noch einer, dass wir kein gutes Team sind, Aldo und ich!

Das ist übrigens das erste Aldo Schild, dass ich entdecke, seit ich in Italien bin.
Interessant ist, dass es auch die Leibwächter erwähnt, die bei dem Überfall abgeschlachtet wurden: “E Martiri della Via Fani”

Sie werden in der Regel noch viel mehr vergessen als Aldo selber.


Das kleine Paradieschen, wo die Esel sind, zu denen Gamin sich gesellen durfte ist ideal. Ich darf hier sogar unseren Ruhetag verbringen. So werde ich morgen den Tag mit wichtigen Erledigungen, aber auch mit Strand und Entspannung verbringen.


Donnerstag, 11. Juni 2015

Penner unter sich


Dornröschen, Rip Van Winkle...meine beiden Lieblingsmärchen. In beiden Geschichten schläft jenmand für sehr lange Zeit ein und erwacht erst wieder, als sich Umfeld und Umstände komplett geändert haben.  

Hier im Süden schlummern viele Dinge im Dornröschenschlaf ; Alte Steinhütten, vergessene Nischen, knorrige Olivenbäume mit Gesichtern...unbeachtet am Wegesrand dösen sie unter sengender Sonne. 

Hört man genau hin, so meint man fast ein Flüstern zu hören: "Meine Geschichte ist noch nicht zu Ende. Sie wurde nur angehalten, vor sehr langer Zeit. Vielleicht dauert es noch hundert Jahre, aber ich werde wieder aufwachen. Durch was oder wen auch immer"

Wer so ein schlafendes Wesen aufwecken will, muss zunächst verstehen lernen, warum es überhaupt erst eingeschlafen ist. 

Für Rip Van Winkle war es eine Gnade. Ein Geschenk, das ihm der knorrige Geist Hendrick Hudson gemacht hat. "Trink das Bier, schlaf eine Runde und wenn Du aufwachst, sind 25 Jahre rum, Deine Frau, die dich fertig macht, wird dann tot sein". So hatte sich der Hendrick das wohl gedacht. In einer Zeit, in der Scheidung kein Thema war, wohl der einzige Weg, der "häuslichen Gewalt" zu entfliehen. 
Nicht nur das: Rip Van Winkle verschlief auch das Blutvergiessen des Unabhängigkeitskrieges. 

Der Preis war allerdings nicht ohne: Denn der junge Rip erwachte als alter Mann. Er verschlief also fast sein ganzes Leben. Nur seine mittlerweile erwachsenen Kinder erkannten ihn und bescherten ihm immerhin noch ein schönes, friedliches Alter.

Bei Dornröschen war die Ausgangslage eine ganz andere. Ihre Familie liebte sie, ihr Umfeld war gut - bis auf den einen, dunklen Punkt:  Die dreizehnte Fee mit ihrem tödlichen Fluch. 

Da half keine Vorsichtsmassnahme und kein Verbrennen aller Spinnräder im Königreich. Ihr Schicksal steuerte unweigerlich auf jenen tragischen Tag zu, mitleidlos und ohne die geringste Chance, das Unheil doch noch abzuwenden. 

Der hundertjährige Schlaf wird zur einzigen Hoffnung in der fatalen Ausweglosigkeit. Wie sagte die gute Fee:  "Ich kann den Fluch nur abmildern, nicht aufheben". 
Dornröschens Eltern werden nicht mehr erleben, wie ihre Tochter aufwacht. Es bleibt nur der Trost, dass der Schrei nach dem Stich an der Spindel nicht das Ende, nicht das letzte Wort war. 

Dass das, was jetzt angehalten wird, irgendwann weiter geht. 

in der komplexen Gleichzeitigkeit des Erlebens aller Dinge in dieser Pilgerfahrt, sind Aldo und ich sowohl Schlafende, Weckende als auch Aufwachende. 
Aldo Moro ist Dornröschen und ich bin Rip Van Winkle. 

wie das literarische Vorbild, habe ich viele Jahre lieber geschlafen, statt mich der Front zu stellen und Probleme wirklich anzupacken. Nun wache ich auf, bin aber schon alt.

Ich stelle mich den Dornen im Wald des Vergessens, der Aldos Schlaf bewacht. Ich reisse mir an dem Gestrüpp Hände, Beine und das Herz blutig und rufe ihm zu: " Ich bins, der alte Rip! ich bin aufgewacht und komme nun, um Deine Uhr irgendwie wieder anzuwerfen!" 

Alle Rosen des Dornenwaldes schenkt er mir dafür. 

Montag, 8. Juni 2015

Pass des Grauens

Leser meiner alten Blogs wissen, dass ich ein grosses Problem mit dem Rücken habe. Das ganze Pogramm: Geburtsfehler im Becken, der sich im Laufe der Jahrzehnte verschlimmert hat, plus kaputte Bandscheiben. Ich konnte zeitweise kaum mehr gehen, insbesondere weil die Entzündung und damit der Schmerz stark ins linke Bein herunterstrahlt.
Mit Medikamenten und Thermalkuren habe ich die Sache ziemlich gut in den Griff bekommen. Während des Trainingsjahrs 2014 hat sich der Rücken, respektive das Bein, kaum gemeldet und irgendwie hielt ich die Sache für überstanden. 

Obwohl mir natürlich bewusst ist, dass das nicht “heilt”.

Schon vor Tagen meldete sich ein neuerlicher Schmerz in der linken Hüfte. Noch war es beherrschbar.

Der Col de Brause zwischen Contes und Sospel ist eigentlich nicht sehr gross. Ca 9 KM im Aufstieg und 12 km im Abstieg. So ein 20 Km Pass, wie ich ihn mir mittlerweile gewohnt bin. Der Aufstieg war denn auch unproblematish.

Schon bei den ersten Schritten des Abstieges jedoch, feuerte ein spitzer Schmerz, vom Hüftknochen ausgehend, ins Becken. 
Ich humpelte sofort an den Strassenand, setzte mich auf einen Stein und rastete etwas. Wird gleich wieder. 
Und tatsächlich. Etwas verschnaufen, der Schmerz geht. Auch die weiteren Schritte sind gut...doch keine Zehn Meter weiter...Neue Stiche. Feurig, Schmerzhaft. 

Ich verliere fast den Halt. Wieder rasten. Dann wieder weiter. Der Schmerz nimmt zu. Nun heisst es, sich von Rastplatz zu Rastplatz zu schleppen. Alle zwanzig Meter. Die segende Hitze macht alles noch viel schlimmer. Die vorbeirasenden Autos und Motorräder ebenfalls. 

12 Kilometer! Wie soll ich das nur schaffen? 

Ein paar Villen tauchen auf, ich frage, ob ich mein Zelt aufschlagen darf. Es wird abgelehent. Aber man lässt mich wissen, dass man mit Gamin Mitleid hat, weil er so schwer beladen ist.

Ich schleppe mich weiter die Kurvenstrasse runter. Ich schliesse die Augen. irgendwie tut es dann weniger weh. Immer wieder Augen öffnen, sehen, ob die nächsten zehn Meter vor mir fei sind, dann, zur Belohnung, wieder Augen zu. Und alle 20 Meter, die ganz grosse Belohnung: Hinsetzen dürfen.

Stunden ziehen dahin. Es ist nur ein verdammter 20 Kilometer Pass! Normalerweis hätte ich den längst hinter mich gebracht. Gamin versteht nicht, warum wir so oft halt machen. Aber er nimmt es hin, zupft Gräser am Wegesrand.

Sospel ist das Ziel. Ich habe meine Mutter gesagt, sie soll mir Artotec und Baclofène nach Sospel schicken, als Poste restante. Das müsste inzwischen angekommen sein. 

Endlich erreichen wir Sospel. Den Camping Municipal. Der ist zwar offiziell noch gar nicht offen, aber das macht nichts, die Zeltwiese ist frei zugänglich und es sind schon jede Menge Camping Cars da.

Mit letzter Kraft stelle ich das Zelt auf.

Am nächten Tag geht es gleich zur Post. Ja, die Medis sind da! Ich schlucke die ersten noch auf der Stelle. 
Danach rufe ich die hiesige Tierärztin an. Gamin braucht noch eine zweite Grundimmunisierung und natürlich das Zollzeugnis. Dieses ist nur 8 Tage gültig. In der Zeit muss ich also über die Grenze!



Zum Glück helfen die Medikamente. Der Schmerz ist zwar nicht gänzlich weg, aber beherrschbar.

Trotzdem ist es ein mulmiges Gefühl, als wir am frühen Morgen aufbrechen. Wieder über einen Pass - diesmal nach Italien! 






 

Mittwoch, 3. Juni 2015

This Land is your Land


JFK: "Nein, ich denke nicht, dass wir hier campiren können"
Aldo: "Aha. Wenn Du meinst"

In den Tagen an denen dieses Bild entstand, wanderten wir durch das nahe Hinterland der Côte d'Azur. Dorf reiht sich hier an Dorf. Eine Welt bestehend aus Luxusvillen, die sich an die steilen Hänge klammern.  Versteckt hinter hohen Mauern, elektronischen Portalen und Überwachungskameras. 

Es gibt kaum öffentlichen Grund. Der Reisende muss sich strikt an die Strasse halten. Ich werde an die Durchquerung des Militärgebietes "Camp Canjures" erinnert, wo man ebenfalls keinen Schritt von der Strasse abweichen durfte. 

Hier wie dort, überall Schilder die potetielle Eindringlinge abschrecken sollen: 
"Zone Voisins viligilants" - Die Zone der aufmerksamen Nachbarn, die "die Polizei rufen, wenn ich es nicht tue"..."Vorsicht, böser Hund"..."Vorsicht, noch böserer Hund"..."Privatgrundstück"..."Zugang Verboten.... 
All das garniert mit den stolzen Werbe-Aufklebern diverser Sicherheitsfirmen.



Auf einer Wiese drohte ein Schild gar mit "Terrain piégé" also "mit Fallen bestücktes Grundstück". 
Um weche Art von Fallen es sich dabei handelt, bleibt bewusst der Fantasie des potentiellen Eindriglings überlassen. 

Fallgruben? Antipersonenminen? Eine Popualtion Giftschlangen?

Je länger man durch dieses paranoide Ghetto wandert, desto mehr hat man das Gefühl dass sich hier Menschen ihre eigenen Hochsicherheitsgefängnisse gebaut haben. Luxuriöse Gefängnisse gewiss, aber eben doch Gefängnisse. 
Die Angst ist hier  Kerkermeister.

Ich muss an den Vers aus Woody Guthries "This Land is your and" denken:


As I went walking I saw a sign there
And on the sign it said "No Trespassing."
But on the other side it didn't say nothing,
That side was made for you and me


Ich will gewiss nicht ungerecht sein. Natürlich ist die Angst vor Einbrechern nicht unbegründet. Die Côte d'Azur ist eine Region der Reichen und das zieht wohl zwangsläufig  Kriminialität an. 
Auch Aldo Moro wohnte  nicht in einer offenen, jedem zugänglichen Hütte. Sondern in einem gut bewachten Anwesen. Leibwächter schützten ihn. 

Dass seine Furcht nicht unbegründet war, hat die Geschichte tragisch bestätigt.

Montag, 1. Juni 2015

Countdown zur Grenze

So langsam näheren wir uns der Italienischen Grenze. In ein paar Tagen Tagen sind wir in Sospel und danach ist es nicht mehr weit. Die Vorboten sind da. Vieles ist zweisprachig beschriftet, die Namen klingen alle italienischer und mittlerweile wissen die Menschen, wo Apulien liegt, dafür kaum noch, wo die Ardèche.



JFK:
"wir näheren uns der Grenze. Die Verbotsschilder werden zweisprachig"
Schild:  "Es ist streng verboten Blumen auszureissen, die zu essen, scheissen und zu atmen"


Der Grenzübertritt ist eine der ganz grossen Meilensteine dieser Reise. Fast habe ich mich daran gewöhnt,  durch Frankreich zu wandern. Daran, immer und überall die Sprache zu beherrschen. Mitreden zu können, die Kultur zu teilen. Der Gedanke, dass ich hier vollumfänglich durch meine Krankenkasse abgesichert bin, war ebenfalls beruihgend. natürlich bin ich das dank europäischer Versuchertenkarte auch drüben. dennoch...alles wird komplizierter.

Ja, es hätte noch lange so weiter gehen können. Und doch, dieser französische Teil der Strecke war nur ein Vorgeschmack, diente lediglich dem Aufwärmen.
Drüben spielt die Musik! Unweigerlich nähere ich mich dem Tag, an dem alles anders sein wird. Eine andere Kultur, eine andere Sprache. Ob meine italienischkenntnisse wirklich ausreichen? Ich habe ein Jahr gelernt und gepaukt, aber reicht es wirklich? Natürlich werde ich unterwegs auch noch viel lernen. Jetzt heisst es bald kopfüber eintauchen, und das voll und ganz, in diese neue Welt. 
Zum ersten mal, seit meiner Kindheit, als ich per Sturzflug in die frankophone Kultur getaucht bin, wird nun wieder eine solche Situation eintreten.

Ich fühle fast schon physisch, wie sehr sich Aldo auf diesen Tag freut. Das ist es, was er will, worauf es für ihn hinausläuft. 

Ich sehe ihn hinter dem Feigenbaum, der hier zwischen Palmen und Kakteen wächst, lächeln.